von PD Dr. Andreas Edmüller (18.12.2023)
Worum geht es?
In dem bereits im letzten Beitrag thematisierten Video vom 05.12.2023 mit dem Titel „Wieder GWUP: Wie man den Wokies das Feld überlässt“, klären Frau Krafft und Frau Wismeg-Kammerlander die Hörer nicht nur über Martin Mahners und meine Inkompetenz auf. Auch den weltberühmten Biologen Richard Dawkins knöpft man sich bei dieser Gelegenheit vor. Er darf ebenfalls von Frau Wismeg-Kammerlanders tiefem Verständnis des Projekts Wissenschaft profitieren und kriegt – allerdings mit deutlich mehr Wohlwollen als meine Wenigkeit – ordentlich den Kopf gewaschen (Im Video etwa ab 1:08 und konkret zu Dawkins ab 1:11). Ich nehme an, er wird sich gerade so kurz vor Weihnachten darüber sehr freuen.
Welche Rolle spielt Richard Dawkins in der Debatte um Matauranga Maori?
Dawkins hatte sich frühzeitig in die Debatte um den offenen Brief der 7 Wissenschaftler („Die 7“) zu Matauranga Maori eingemischt. Er hat ein Schreiben zur Verteidigung „Der 7“ an die Royal Society in Neuseeland geschickt. 1 Eine seiner Thesen ist, wenig überraschend, dass Matauranga Maori eine Form des Kreationismus sei, daher, ebenfalls nicht überraschend, als unwissenschaftlich einzustufen sei und somit nichts in den Lehrplänen für die Wissenschaften an Neuseelands Schulen verloren habe.
Wie argumentiert Frau Wismeg-Kammerlander?
Schritt 1: Im oben verlinkten Video belehrt uns Frau Wismeg-Kammerlander darüber, dass der Kreationismusverdacht unbegründet sei. Unter „Kreationismus“ verstünde man nämlich grundsätzlich nur sehr eng angelegte, rein religiöse Konzeptionen – und das sei Matauranga Maori nicht. 2 Es enthalte einen enormen Anteil an Erfahrungswissen, das sich in einigen Teilen sogar bisher erfolgreich wissenschaftlichen Erklärungsansätzen entziehe. Im zweiten Schritt führt sie aus, dass eben jene Inhalte Matauranga Maori als wissenschaftlich respektabel auszeichnen würden – gerade gegenüber dem Kreationismus. 3
Was ist von Frau Wismeg-Kammerlanders Ausführungen zum Kreationismus zu halten?
In der Stanford Encyclopedia of Philosophy, einem Standardwerk für diese Art von Diskussionen, werden z.B. mehrere Kreationismusbegriffe unterschieden: Ein sehr weiter – Erschaffung der Welt durch eine oder mehrere Gottheiten usw. – und in Staffelung eher eng gefasste, bei dem es um die speziellen Varianten der abrahamitischen bzw. christlichen Religionen geht. 4 Das entspricht meines Erachtens auch den üblichen Verwendungsweisen des Begriffes. Mein Ansatz wäre es, uns bzw. Dawkins zu unterstellen, wir wüssten, dass Matauranga Maori kein christlicher Ansatz ist und „Kreationismus“ deshalb völlig korrekt im weiten Sinn verwenden. Also: Wo liegt hier ein Problem? Meiner Ansicht nach kommt es hier gar nicht auf Worte, sondern auf Inhalte an. Was heißt das? Man kann problemlos einen anderen Begriff verwenden, z.B. den des „Schöpfungsmythos“. Dann lautet das Argument so: 1. Matauranga Maori enthält als Grundlage seiner Welterklärung einen Schöpfungsmythos. 2. Schöpfungsmythen und Erklärungen, die darauf aufbauen, sind nicht mit dem wissenschaftlichen Weltbild vereinbar. 3. Deshalb sollte Matauranga Maori nicht im Lehrplan für wissenschaftliche Fächer auftauchen. Klingt irgendwie gut, oder? Aber natürlich nur, wenn das mit dem Schöpfungsmythos stimmt – und wer weiß schon, was Frau Wismeg-Kammerlanders Team für Internetrecherche um Florian Aigner dazu herausgefunden hat? Deshalb ein kurzer Einschub:
Der Schöpfungsmythos in Matauranga Maori
In der Mythologie der Māori spielt das göttliche Elternpaar Rangi und Papa (Himmel und Erde) eine wesentliche Rolle, von denen weitere Götter und Nachfahren abstammen, die wiederum alle Lebewesen hervorbrachten und die für Wälder, das Meer, Vögel, Fische usw. zuständig sind. 5
Das klingt tatsächlich sehr stark nach Schöpfungsmythos und kann auch leicht durch diverse Podcasts mit Maori-Experten der bereits empfohlenen Reihe „The Shape of Dialogue“ überprüft werden.
Der Schöpfungsmythos Matauranga Maoris im Lehrplan für wissenschaftliche Fächer
Ich hatte hier schon nachgewiesen, dass Mauri, das zentrale Vitalismuskonzept Matauranga Maoris, längere Zeit im Lehrplan für wissenschaftliche Fächer wie Biologie und Chemie enthalten war. Damit wird zwangsläufig der Schöpfungsmythos für diese Fächer relevant: Mauri wird nämlich permanent von Rangi und Papa abgestrahlt, durchströmt alle belebten und unbelebten Dinge und sorgt so dafür, dass alles mit allem verwoben ist und bleibt. Ohne diese Anbindung an die beiden Gottheiten ist der Begriff Mauri nicht verständlich. Also: Kein Lehrplan mit Mauri ohne den zugehörigen Schöpfungsmythos.
Fazit 1: Richard Dawkins hat doch Recht – wer hätte das gedacht?
Diese Überlegungen zeigen, dass Dawkins mit dem ersten Teil seiner Ausführungen richtig liegt und die Kritik Frau Wismeg-Kammerlanders nicht greift: Matauranga Maori baut wesentlich auf einem Schöpfungsmythos auf, der als eine Variante des Kreationismus verstanden werden sollte. Ohne diesen Schöpfungsmythos gibt es keine Integration wichtiger Konzepte Matauranga Maoris in den wissenschaftlichen Unterricht. Bleibt Frau Wismeg-Kammerlanders Argument zu prüfen, ein Schöpfungsmythos wäre in Kombination mit umfangreichem Erfahrungswissen wissenschaftlich respektabel. In Teil 2 – er wird zeitnah erscheinen – werfe ich einen genauen Blick auf Team Hümmlers Argumente dazu bzw. dessen recht unterhaltsames Verständnis von Wissenschaft. Ob Frau Wismeg-Kammerlander zusätzlich für die Integration in das Curriculum für wissenschaftliche Fächer plädiert, bleibt offen: Das habe aus ihrer Sicht eh nie jemand gefordert und sei eine reine Erfindung des Herrn Edmüller bzw. „Der 7“. Tja – und jetzt? Zu diesem Aspekt der Debatte habe ich eine umfangreiche PDF-Datei an den Wissenschaftsrat der GWUP geschickt. In ihr sind die verschiedenen Lehrpläne der Regierung Neuseelands der letzten Jahre zur Integration Matauranga Maoris in den Unterricht der Wissenschaften in zeitlicher Abfolge genau dokumentiert. Der aktuelle Stand, so meine Bekannten in Neuseeland: Die neue Regierung wird die Lehrpläne der wissenschaftlichen Fächer zügig wieder von mythologischen und nichtwissenschaftlichen Inhalten befreien.
Bitte an die Leser
Bitte helfen Sie bei der Verbreitung meines Videos zum Vortrag über das WOKE-Phänomen aktiv mit. Ich gehöre keinem der beteiligten Vereine und keiner Gruppierung an und muss mich der Diffamierungskampagne alleine stellen. Es wäre mir eine große Freude, bis Jahresende 2023 auf 10.000 Aufrufe zu kommen. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!
Fußnoten
1. https://richarddawkins.net/2021/12/myths-do-not-belong-in-science-classes-letter-to-the-royal-society-of-new-zealand/ (deutsche Version: https://de.richarddawkins.net/articles/mythen-gehoeren-nicht-in-den-naturwissenschaftlichen-unterricht).
2. In dem Brief an die Royal Society verwendet Dawkins den Begriff creation myth.
3. In meinem Vortrag hatte ich dieses Standardargument unter Rückgriff auf „Die 7“ aufgegriffen und relativ ausführlich diskutiert.