von Johannes C. Zeller (30.04.2024)

Skeptizismus inmitten ideologischer Konflikte

Inmitten eines eskalierenden Dramas stehen die deutschen Skeptiker auf ihrer Mitgliederversammlung am 11. Mai [2024] vor einer wichtigen Entscheidung. Dabei geht es nicht nur um die Abstimmung zwischen dem amtierenden Vorsitzenden und seinem Herausforderer, sondern auch um die Frage, ob es die Aufgabe von Skeptiker-Organisationen ist, die logischen Widersprüche in den Critical Studies und verwandten Bereichen zu hinterfragen.

Neuwahlen für die nächste Mitgliederversammlung angesetzt

Seit der Schilderung der Krise innerhalb der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) zu Beginn dieses Jahres [2024] hat sich die Situation weiter verschärft und zum Rücktritt weiterer Schlüsselfiguren auf beiden Seiten des Konflikts geführt (vgl. Ernst 2024; Aigner 2024). Die Durchsicht der öffentlichen und internen Akten offenbart einen Diskurs voller Schuldzuweisungen, persönlicher Angriffe und ideologischer Voreingenommenheit – problematische Methoden, erst recht für eine Organisation, die sich dem kritischen Denken und der wissenschaftlichen Methode verschrieben hat. Zu diesem Zeitpunkt sind die Positionen so verhärtet, dass eine Versöhnung zwischen den Hauptprotagonisten des Konflikts aussichtslos erscheint. Viele in der deutschsprachigen Skeptikergemeinde sehen daher in der anstehenden Wahl, die im Rahmen der Mitgliederversammlung der SkepKon in Augsburg stattfinden wird, einen möglichen Wendepunkt, der die Glaubwürdigkeit der GWUP wiederherstellen könnte.

Kontroversen über Critical Studies und Cancel Culture

Der Konflikt wird manchmal als Zusammenstoß einer „Woke“- mit einer „Anti-Woke“-Fraktion dargestellt. Im Kern geht es jedoch um die Frage, ob die Kritik an den Critical Studies und ihren verschiedenen Disziplinen, wie etwa den Gender Studies, in die Agenda der Skeptiker aufgenommen werden soll. Holm Hümmler, der derzeitige Vorsitzende, der letztes Jahr überraschend gewählt wurde, hat wiederholt zur Vorsicht gemahnt, wenn diese Themen unter dem Banner der GWUP angesprochen werden. Obwohl er betont, dass er keine Themen verbieten will, behauptet Hümmler, dass einige Mitglieder versuchen würden, den Verein für eine politische Agenda zu vereinnahmen, indem sie sachliche Kritik an Critical Studies und Wokeness mit politischer Rhetorik polemisieren (Schulte von Drach 2024). Seine Gegner behaupten jedoch, dass er selbst eine politische Agenda verfolge, indem er sie trotz ihres Engagements für sachliche Kritik als „alt-right“ (rechts) oder mit ähnlichen Bezeichnungen brandmarkt.

Vorwürfe gegen Hümmler, Cancel Culture zu betreiben, führten zu einer weiteren Polarisierung der Mitglieder, da er und sein Team zwei Redner ohne angemessene Begründung von der SkepKon entfernt haben, obwohl diese in einem strengen Ausschussverfahren ausgewählt worden waren. Till R. Amelung, einer der abgesagten Redner, ist eine Trans-Person mit einer kritischen Haltung gegenüber Identitätspolitik und sollte auf dem Skeptiker-Kongress über Transsexualität sprechen. Aus den Protokollen des Vorstandes geht hervor, dass sein Vortrag gestrichen wurde, weil vermutet wurde, dass Amelung Verschwörungstheorien der „Satanic Panic“ unterstützen würde. Amelung bestreitet jedoch, an solche Theorien zu glauben (Skeptische Gesellschaft 2024a). Die Absage seines Vortrags ist umso überraschender, als Hümmler in der Vergangenheit die Wichtigkeit der Inklusivität für Trans-Personen betont hat. Der Fall führte zu weiteren Vorwürfen gegen Hümmlers Leitung, abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen und intellektuelle Vielfalt zu unterdrücken.

Eine Rückkehr zum offenen Dialog?

Bei der bevorstehenden Wahl trifft Hümmler auf seinen Herausforderer André Sebastiani, ein langjähriges Mitglied, das 2023 in den Vorstand gewählt wurde. Er ist vor allem für seine Kritik an der Anthroposophie bekannt – einer Mischung aus Pseudowissenschaft und Spiritualismus, die einen bedeutenden Einfluss auf das Bildungswesen (Waldorfschulen), die Landwirtschaft (biodynamische Landwirtschaft) und das Gesundheitswesen (Alternativmedizin) im deutschsprachigen Raum hat. Sebastiani, der seine Kandidatur in einem Video ankündigte, verspricht, die GWUP wieder zu offenem Dialog und Inklusivität zu führen (2024). In hitzigen Vorstandssitzungen, aber auch in Podcasts über den Disput, hat er seine Fähigkeit zur rationalen Debatte und sein Gespür für Diplomatie unter Beweis gestellt. Als beispielsweise der Philosoph Andreas Edmüller von einigen GWUP-Mitgliedern diffamiert wurde, weil er die Vereinbarkeit kritischer Studien mit den Werten der Aufklärung in Frage gestellt hatte (vgl. Edmüller 2024), setzte sich Sebastiani für eine formale Entschuldigung und eine Bekräftigung des Bekenntnisses der Organisation zu wissenschaftlichen Prinzipien ein. Dieser Vorschlag wurde jedoch von der von Hümmler geführten Vorstandsmehrheit abgelehnt.

Sebastianis Kampagne wird auch von GWUP-Gründungsmitglied Amardeo Sarma unterstützt, der die Organisation bis zu seinem Rücktritt im Jahr 2023 15 Jahre lang geleitet hat. „Wenn sich eine zukünftige GWUP nur noch auf Themen beschränkt, die in bestimmten Kreisen politisch akzeptabel sind, hat sie ihre Existenzberechtigung verloren“, kommentiert Sarma die aktuellen Entwicklungen. Seine Hoffnung für den 11. Mai [2024] sei „eine Rückkehr zur Offenheit für alle relevanten Themen und eine Diskussionskultur, die hart in der Sache, aber freundlich im Ton ist, auch gegenüber Gegnern“.

Wo Gründungsmitglieder stehen

Als Hümmler für den Vorsitz kandidierte, lautete sein Slogan „Ich will meine alte GWUP zurück“ (Vyse 2023). Diese Ansicht wird nun zweifellos von seinen Gegnern geteilt, die sich ebenfalls eine Rückkehr zu dem wünschen, was sie als den früheren Status quo empfinden. Um zu klären, wie die „alte GWUP“ zu diesem Thema steht, habe ich mich an Manfred Körkel, Martin Mahner und Carl Heinz Ross gewandt, die die Organisation 1987 zusammen mit Sarma gegründet haben (Harder 2022). Welche Veränderungen haben sie festgestellt, und sind sie der Meinung, dass Skeptiker Critical Studies untersuchen sollten?

„Bereits 2022 wurde deutlich, dass es in der GWUP zwei miteinander inkompatible Denkhaltungen gibt“, erklärt Körkel. „Eine klassisch universalistisch ausgerichtete und eine, die mit dem neuen links-identitären Denken konform gehen will. Zwar hat die links-identitäre Denkrichtung progressive Ziele, enthält aber relativistische, postfaktische und antiaufklärerische Tendenzen, die mit Wissenschaft unvereinbar sind. “ Körkel behauptet weiter, dass die Critical Studies die intellektuelle Grundlage für eine Form des Aktivismus bilden, die in die Naturwissenschaften eindringt und Organisationen wie das CFI und die GWUP dazu zwingt, diesen ideologischen Übergriffen entgegenzuwirken. Mahner fügt hinzu: „Es ist absolut zwingend, dass sich skeptische Organisationen mit den Critical Studies auseinandersetzen, da sie auf einer toxischen identitären und teilweise postmodernen Ideologie beruhen, die nicht nur dabei ist, die Sozial- und Geisteswissenschaften von innen heraus zu zerstören, sondern auch die Naturwissenschaften betrifft. Bei dieser Kritik geht es nicht in erster Linie um Politik, sondern um die angewandten ‚alternativen Epistemologien‘ und die Frage, ob diese akademischen Bereiche den korrekten Methoden der Natur- und Geisteswissenschaften folgen“. Er stellt klar: „Das soll nicht heißen, dass es in Critical Studies keine echten Forschungsfragen gibt. Diskriminierung, Rassismus und Geschlecht sind zum Beispiel richtige sozialwissenschaftliche Themen, aber sie müssen mit einer angemessenen empirischen Methodik untersucht werden, nicht mit einer bestimmten Ideologie im Hinterkopf, die empirische Ergebnisse prägt oder sogar diktiert oder, schlimmer noch, die wissenschaftliche Methodik gänzlich ablehnt.“ Er empfiehlt als Quelle den Aufsatz „In Defense of Merit in Science“ von Abbot et al. (2023).

Ross kommentiert: „Ich bin mit Critical Studies nicht sehr vertraut, aber meine Vision für die GWUP ist es, als verlässliche Informationsquelle zu dienen, insbesondere zu Themen, bei denen es schwierig ist, wissenschaftlich fundierte Fakten zu finden, wie z.B. in der Alternativmedizin, aber auch in neu entstehenden Bereichen.“ Im Hinblick auf die bevorstehende Wahl äußert er sich besorgt: „Ich hoffe, dass wir eine Aufspaltung in zwei kleinere Organisationen vermeiden können. Eine solche Spaltung könnte das Überleben unserer Zeitschrift, des skeptischen Zentrums und anderer Errungenschaften der GWUP gefährden. Es würde im Grunde jahrzehntelange Arbeit zerstören.“

Framing-Techniken und ideologische Voreingenommenheit

Unabhängig vom Ausgang der Wahl am 11. Mai [2024] scheint ein weiterer Rückgang der Mitgliederzahlen unvermeidlich, und eine formale Spaltung in zwei verschiedene Organisationen ist nicht undenkbar. Wie konnte sich die Debatte so aufheizen? Eine Untersuchung der Aufzeichnungen in den sozialen Medien, der Vorstandsprotokolle und des hitzigen E-Mail-Verkehrs offenbart eine toxische Diskussionskultur, die durch Ad-hominem-Angriffe, Assoziations-Trugschlüsse und andere logische Fehlschlüsse gekennzeichnet ist. Die Situation wird durch unmoderierte Debatten, die hauptsächlich in voreingenommen Blog- und Podcast-Formaten stattfinden, sowie durch Algorithmen in sozialen Medien, die provokative Inhalte belohnen, noch verschärft. Darüber hinaus scheinen viele Debattenteilnehmer mehr daran interessiert zu sein, ihre Argumente zu verteidigen, als den Konflikt zu lösen.

Die Eskalation wurde meiner Meinung nach im Wesentlichen durch bestimmte Framing-Techniken verursacht. Hümmler und seine Mitstreiter bezeichneten ihre Gegner wiederholt als „alt-right“, „ultra-konservativ“ oder ähnlich (vgl. Hümmler 2023). Dies wurde als Versuch interpretiert, jeden, der sich öffentlich gegen Critical Studies wendet, mit rechter Ideologie in Verbindung zu bringen, auch wenn er sich eindeutig nicht mit dieser Ideologie identifiziert. Dieser Ansatz wurde insbesondere auf Nikil Mukerji, ein GWUP-Vorstandsmitglied und CSI-Fellow, angewandt, nachdem er in einem Podcast pseudowissenschaftliche Elemente in Critical Studies diskutiert hatte. In jüngerer Zeit forderten einige von Hümmlers Anhängern Sebastiani auf, sich vom Rechtsextremismus und der rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD) zu distanzieren. Die formale Aufforderung, die über die interne Mailingliste erfolgte, erscheint irrational, wenn man bedenkt, dass Sebastiani kürzlich zusammen mit dem Extremismusforscher Sebastian Schnelle einen einstündigen Podcast veröffentlicht hat, der sich einer kritischen Analyse der AfD und der Strategien von Rechtsextremisten widmet. Außerdem ist er gewähltes Mitglied im Landesvorstand der Sozialdemokratischen Partei und hat sich an den Protesten gegen Rechtsextremismus beteiligt, die Anfang des Jahres in Deutschland stattfanden (Skeptische Gesellschaft 2024b). Vor diesem Hintergrund wird die Aufforderung, sich von der AfD zu distanzieren, von einigen als böswilliger Versuch gewertet, Sebastiani zu Unrecht als Rechten abzustempeln.

Die GWUP hat natürlich Mitglieder aus dem gesamten politischen Spektrum, und obwohl es möglich ist, dass einige extreme Ansichten vertreten, habe ich bei meinen Nachforschungen und Hintergrundgesprächen niemanden getroffen, der als Extremist oder Fanatiker irgendeiner Art bezeichnet werden könnte. Tatsächlich scheint das Hauptanliegen derer, die als „Anti-Woke“ bezeichnet werden, darin zu bestehen, logische Ungereimtheiten und andere Irrtümer in Critical Studies aufzuzeigen, und nicht darin, Einzelpersonen zu diskriminieren. Es stimmt, dass einige Themen aus Critical Studies auch bei Rechtspopulisten wie der AfD beliebt sind. Die Logik, dass man allein dadurch, dass man dieselben Themen wie Extremisten diskutiert, zum Extremisten wird, ist jedoch offensichtlich fehlerhaft und würde dazu führen, dass man den gesamten Diskurs den tatsächlichen Extremisten überlässt. Zudem reagieren Menschen verständlicherweise empfindlich auf ungerechte Bezeichnungen, insbesondere auf solche, die mit Rassismus und rechter Ideologie in Verbindung gebracht werden – ein besonders heikles Thema in Deutschland. Daher könnte man argumentieren, dass die Bezeichnung eines bedeutenden Teils der GWUP als „alt-right“ usw. das zentrale Problem ist, das zum aktuellen Dilemma geführt hat.

Das Ideologieproblem angehen

Wenn wir Menschen und nicht ihre Ideen beurteilen, wenn wir unsere eigenen Überzeugungen über Fakten stellen und wenn wir Objektivität für Ideologie opfern, dann haben wir als Skeptiker versagt. Skeptische Organisationen sollten Orte sein, an denen sowohl neue Ideen als auch alte Ideologien kritisch bewertet werden, anstatt sie durch Echokammern und Filterblasen zu verstärken. Im vergangenen Jahr hat die GWUP bei dieser Aufgabe versagt. Was auch immer auf der Mitgliederversammlung geschieht, es ist entscheidend, dass die älteste Skeptikerorganisation in Deutschland zu einem offenen und zivilisierten Diskurs zurückkehrt.

Skeptiker weltweit sollten die Ereignisse in Augsburg am 11. Mai [2024] genau beobachten. Wie Vesal Razavimaleki kürzlich betonte, hat die Skeptikergemeinschaft ein Ideologieproblem. Um eine weitere Spaltung zu verhindern, müssen wir es zur Regel machen, unsere eigene Argumentation auf Voreingenommenheit zu überprüfen, bevor wir anderen ein Etikett aufdrücken.

Dieser Artikel erschien zuerst im Skeptical Inquirer, einem Magazin des Center for Inquiry.

Johannes C. Zeller studierte Linguistik und Medienwissenschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz. Als erfahrener Journalist übt er sich gerne in kritischem Denken und bietet Einblicke in den Mediendiskurs – z.B. in seinem Blog auf icallbs.substack.com.

Übersetzung: Jörg Elbe.

Originalartikel hier.

Fußnoten